Schüler wird zwischen regulärem Unterricht und privater Musikstunde verletzt
Ein 12-jähriger Schüler besuchte ein privates Gymnasium. Dort wollte er nach dem regulären Unterricht an einem Klarinettenunterricht teilnehmen, der außerhalb des Lehrplans stattfand. Die Eltern mussten hierfür einen eigenen Vertrag schließen und ein zusätzliches Schulgeld zahlen. Der Musiklehrer wurde vom Schulträger auf Grundlage eines Honorarvertrags beschäftigt. Die Teilnahme an diesem (oder einem anderen) privaten Musikunterricht war Vorraussetzung für die Belegung des (regulären) Wahlpflichtunterrichts „Bläserklasse plus“.
Nachdem der Lehrplanunterricht um 15:00 Uhr beendet war, warteten mehrere Schüler im Klassenzimmer auf den Beginn des Musikunterrichts um 16:00 Uhr. Dabei kam es zu einem Streit, der in eine Schlägerei ausartete. Der Klarinettenschüler wurde heftig ins Gesicht geschlagen und erlitt eine Schädelprellung, ein Hämatom an der Stirn, eine Zahnfraktur sowie eine Nasenprellung.
Unfallversicherung will nicht zahlen
Die gesetzliche Unfallversicherung lehnte jedoch die Anerkennung der Verletzungen als Versicherungsfall und die Übernahme von Leistungen ab: Die Auseinandersetzung habe nach Schulschluss stattgefunden, die beteiligten Schüler seien auch nicht für ein schulisches Betreuungsangebot angemeldet worden. Der Besuch eines privaten Musikunterrichts unterläge nicht der gesetzlichen Unfallversicherung.
Hier kam es entscheidend auf die Frage an, ob der private Musikunterricht ein zusätzliches, getrenntes Angebot darstellt: Denn was Schülerinnen und Schüler nach Schulschluss tun, fällt grundsätzlich nicht in den Verantwortungsbereich des Schulträgers und ist damit auch nicht versichert. Passiert jedoch zwischen zwei Schulveranstaltungen etwas, ist die Unfallversicherung in der Pflicht.
Sozialgericht: Versicherungsfall, weil Schulveranstaltung
Der verletzte Schüler erhob gegen diesen Bescheid Widerspruch und dann Klage zum Sozialgericht (SG) Rostock. Das gab ihm zunächst auch Recht: Die Klarinettenstunde sei kein vom Schulunterricht getrenntes Angebot des Schulträgers gewesen, sondern eine schulische Veranstaltung. Dafür spräche unter anderem, dass die Teilnahme Bedingung für die Anmeldung zur „Bläserklasse plus“ gewesen sei.
LSG: Privater Musikunterricht freiwillig und damit keine Schulveranstaltung
Im Berufungsverfahren erlitt der Kläger dann allerdings eine Niederlage. Das Landessozialgericht (LSG) Mecklenburg-Vorpommern hob das Urteil des SG auf und entschied, dass keine Schulveranstaltung vorgelegen habe. Bei der Gesamtbewertung der Umstände habe die Vorinstanz unter anderem verkannt, dass die Teilnahme an gerade diesem Musikunterricht nicht verpflichtend für den Besuch der „Bläserklasse plus“ gewesen sei, sondern auch eine andere Vorbereitung möglich gewesen wäre. Außerdem spräche das zusätzliche Schulgeld und der Honorarvertrag mit dem Lehrer dafür, dass hier ein eigenständiges Angebot vorliege.
Abgrenzung zwischen Schul- und Privatveranstaltung oft schwierig
Der Fall zeigt, dass Gerichte unterschiedlicher Meinung darüber sein können, was als Schulveranstaltung gilt und was nicht. Für Schulträger und Eltern sind diese Details wichtig, da von ihnen Haftung und Versicherungsschutz abhängen. Bei zusätzlichen Angeboten außerhalb des Lehrplans sollten Privatschulen deshalb darauf achten, den privaten Charakter mit der richtigen vertraglichen Gestaltung herauszustellen und dies gegenüber Eltern und Lehrkräften transparent zu kommunizieren.
Keine Rolle spielte in dem Fall übrigens, dass der „Unfall“ kein Versehen war, sondern durch vorsätzliche Schläge ins Gesicht verursacht wurde. Auch in diesem Fällen muss grundsätzlich die gesetzliche Unfallversicherung Leistungen für den Geschädigten übernehmen.
Aktenzeichen des Urteils: LSG Mecklenburg-Vorpommern (5. Senat), Urteil vom 08.02.2023 – L 5 U 10/17