Worum ging es in dem Fall?
Im Zuge der Corona-Pandemie kam es Anfang 2020 zu massiven Einschränkungen des öffentlichen Lebens. Ein Nachhilfeanbieter aus NRW beantragte deshalb eine Soforthilfe für Unternehmen und Selbständige nach dem Programm „NRW-Soforthilfe-2020“ und füllte dafür entsprechende Antragsformulare aus. Noch am selben Tag wurde ihm eine Soforthilfe in Höhe von 9.000 Euro bewilligt.
Voraussetzungen für die Förderung nicht gesetzlich geregelt
Die Bedingungen für die Soforthilfe waren nicht in einem Gesetz oder in einer Rechtsverordnung geregelt, sondern ergaben sich aus dem Antragsformular und den „FAQ“ auf der Website des Wirtschaftsministeriums. Im Antragsformular wurde als eine von vier möglichen Voraussetzungen genannt, dass „die Umsatzerzielungsmöglichkeiten durch eine behördliche Auflage im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie massiv eingeschränkt wurden“. In den FAQ hieß es unter anderem, dass Voraussetzung für die Förderung „erhebliche Finanzierungsengpässe und wirtschaftliche Schwierigkeiten in Folge von Corona“ seien. Die FAQ wurden häufig geändert und ergänzt.
Behörde stellt Strafanzeige und fordert Soforthilfe zurück
In der Folgezeit gingen beim Wirtschaftsministerium anonyme E-Mails ein, in denen der Nachhilfeanbieter des Betrugs beschuldigt und ihm vorgeworfen wurde, die Corona-Soforthilfe zu Unrecht beantragt zu haben. Er habe seinen Nachhilfeunterricht weiter online angeboten und das Schulgeld bei den Schülern abgebucht. Darafhin erstattete die für die Bewilligung der Soforthilfen zuständige Behörde Strafanzeige. Das Verfahren wurde später mangels hinreichendem Tatverdacht eingestellt.
Außerdem versandte die Behörde ein Anhörungsschreiben mit den geäußerten Vorwürfen an den Nachhilfeanbieter und nahm dann die Bewilligung der Soforthilfe zurück. Zur Begründung führte sie aus, aufgrund des fortlaufenden Online-Unterrichts und den daraus erzielten Einnahmen läge kein Finanzierungsengpass vor und die Antragsvoraussetzungen hätten somit nicht vorgelegen.
Nachhilfeanbieter klagt gegen Rücknahmebescheid
Gegen diesen Bescheid klagte der Nachhilfeanbieter vor der Verwaltungsgericht (VG) Gelsenkirchen. Er habe zwar nach dem Corona-Lockdown noch Umsätze erzielen können, allerdings sei das neu geschaffene Online-Angebot nur zurückhaltend angenommen worden. Von 159 aktiven Schülern hätten nur 60 mindestens eine Online-Stunde in Anspruch genommen. Im Vergleich zum Vorjahr habe er außerdem kaum Neuanmeldungen erzielt (13 statt 73 Anmeldungen).
Gericht erklärt Rücknahme für rechtswidrig…
Das VG stellte sich in seinem Urteil auf die Seite des Nachhilfeanbieters und erklärte den Rücknahmebescheid für rechtswidrig. Der Kläger habe auf dem Antragsformular keine falschen Angaben gemacht, da bei ihm die Voraussetzungen für den Bezug der Corona-Soforthilfe vorgelegen hätten. Entgegen der Auffassung der Behörde sei dafür kein „Finanzierungsengpass“ beim Antragsteller erforderlich, da im Antragsformular und den FAQ ein Finanzierungsengpass nur als eine von mehreren Alternativen genannt sei. Zudem habe der Kläger plausibel dargelegt, dass seine Umsätze seit Beginn der Corona-Pandemie massiv eingebrochen seien, was ihn nach dem damals aktuellen Stand der FAQ zur Soforthilfe berechtige.
… und rügt die Behörde
Ungewöhnlich deutlich kritisierte das VG die Behörde. Sie habe die vagen Angaben in den anonymen E-Mails nicht weiter überprüft und damit die „Rücknahmeentscheidung ohne tragfähige Tatsachengrundlage ins Blaue hinein getroffen“. Die Behörde habe ein „offenkundig diffuses und nicht weiter reflektiertes Verständnis der eigenen Bewilligungspraxis“, da sie im Rücknahmebescheid die Anforderungen für die Bewilligung der Soforthilfe nicht erläutert und nur pauschal auf die FAQ Bezug genommen habe. Es fehle auch eine Definition des Begriffes „Finanzierungsengpass“.
Unübersichtliche Rechtslage durch die Corona-Pandemie muss von Gerichten aufgearbeitet werden
Auch mehrere Jahre nach Beginn der Corona-Pandemie bereitet die rechtliche Aufarbeitung den Gerichten Kopfschmerzen. Offensichtlich stellte die sich schnell und ständig ändernde Rechtslage und Verwaltungspraxis viele Behörden vor große Herausforderungen. Umso erfreulicher ist es, wenn Verwaltungsgerichte die Bewilligungs- und Rücknahmevoraussetzungen für Coronahilfen jetzt aufarbeiten und rechtswidrige Bescheide kassieren. Dass Online-Unterricht nicht dasselbe ist wie Präsenzveranstaltungen und sich das eingeschränkte Angebot auf die Umsätze von Nachhilfeanbietern auswirkt, liegt auf der Hand und ließ sich im vorliegenden Fall auch schlüssig belegen.
Urteil im Volltext: VG Gelsenkirchen, Urteil vom 12. Januar 2023 – 19 K 4745/20