Um was ging es in dem Fall?
Bei einem Grundschüler war das Asperger-Syndrom (Autismus) diagnostiziert worden, was laut ärztlichen und sozialpädagogischen Befunden zu Schwierigkeiten im Schulalltag führte. Der Schüler hatte Probleme, dem Unterricht und Arbeitsanweisungen zu folgen und war in sozialen Gruppensituationen schnell überfordert. Er benötigte häufig Pausen und Rückzugsmöglichkeiten und wurde dauerhaft von einem Schulbegleiter unterstützt.
Örtliche Realschule überfüllt und unerfahren mit Autismus
Nach der vierten Klasse sprach die Grundschule eine Empfehlung für die Realschule aus. Die örtliche Realschule entsprach jedoch nicht dem, was man sich unter einer optimalen Lernumgebung für Schüler mit einer Entwicklungsstörung vorstellt: Die Klassen umfassten 30 Schüler und mehr und waren teilweise in Container ausgelagert. Es gab es häufige Klassenraum- und Lehrerwechsel, Hausaufgaben und keine Rückzugsmöglichkeiten. Zudem bestand auch keinerlei Erfahrung der Schule mit autistischen Kindern.
Mutter meldet Kind auf Montessori-Schule an
Die Grundschule sowie mehrere Ärzte und Sozialpädagogen hatten empfohlen, dass der Schüler an einer kleinen Schule ohne häufige Raum- und Lehrerwechsel unterrichtet wird, ohne Leistungsdruck und Hausaufgaben und mit Rücksicht auf das eigene Lerntempo. Deshalb beantragte die Mutter die Kostenübernahme im Rahmen der Eingliederungshilfe (§ 35a SGB VIII) für den Besuch ihres Kindes einer privaten Montessori-Schule, die bereits Erfahrung mit autistischen Kindern hatte.
Jugendamt: Kein Anspruch auf bestmögliche Förderung
Diesen Antrag lehnte das Jugendamt jedoch ab. Die schulische Förderung sei eine vorrangig dem öffentlichen Bildungswesen zugewiesene Aufgabe, weshalb nur in Ausnahmefällen die Kosten für eine Privatschule übernommen werden könnten. Das sei aber nur der Fall, wenn das Leistungsangebot der staatlichen Schulen nicht vorhanden oder nicht ausreichend sei. Die staatliche Realschule sei aber verpflichtet, auch autistische Kinder aufzunehmen. Den Schwierigkeiten dort müsste mit individuellen Maßnahmen der Schule begegnet werden. Es bestehe zudem kein Anspruch auf bestmögliche Förderung, sondern nur auf eine angemessene Schulbildung.
Verwaltungsgericht verpflichtet Jugendamt zur Kostenübernahme
Gegen die Ablehnung des Bescheids klagte die Mutter im Namen ihres Kindes vor dem Verwaltungsgericht (VG) München. Das entschied zugunsten des Klägers und verpflichtete das Jugendamt, die Kosten für die Montessori-Schule zu übernehmen. Die örtliche Realschule sei nicht geeignet, den Schüler mit seiner Entwicklungsstörung zu fördern, während dies auf der kleinen und anders strukturierten Montessori-Schule möglich sei. Dass die Förderung bisher an der Grundschule gelungen sei, sei dem Engagement der Schulleitung zu verdanken und kein Beweis dafür, dass öffentliche Schulen generell mit Autismus umgehen könnten.
Urteil deckt Defizite im öffentlichen Bildungssystem auf
Ob der Staat im Rahmen einer Sozialleistung wie beispielsweise der Eingliederungshilfe die Kosten für eine Schule in freier Trägerschaft übernehmen muss, ist immer von den Umständen des Einzelfalls abhängig. Generell besteht ein Vorrang, das staatliche Bildungssystem in Anspruch zu nehmen. Die Entscheidung ist aber bemerkenswert, weil die Defizite der öffentlichen Schulen im Bereich Inklusion schonungslos offengelegt werden.
Das Fazit lautet: Wenn der Staat es nicht schafft, an seinen eigenen Schulen die Teilhabe behinderter Schüler zu ermöglichen, muss er private Schulträger bezahlen, die dieser Aufgabe häufig besser gewachsen sind.
Aktenzeichen des Urteils: VG München, Urteil vom 21. September 2022 – M 18 K 18.5706