Worum ging es in der Entscheidung?
Die Eltern eines Erstklässlers hatten im Eilverfahren vor dem Verwaltungsgericht Regensburg (VG) beantragt, ihrem Sohn den Besuch der Online-Schule „School Beyond Limitations“ anstelle einer regulären Grundschule zu gestatten. Nachdem das VG den Antrag zurückgewiesen hatte, legten die Eltern Beschwerde beim VGH ein.
Eltern: Sohn in Bayern nicht schulpflichtig, Online-Schule ist gleichwertig
Ihr Argument: Da die Familie beruflich bedingt viel reisen müsse, habe der Sohn keinen gewöhnlichen Aufenthalt in Bayern und könne nicht am Präsenzunterricht teilnehmen. Nach bayerischem Schulrecht kann die Schulpflicht auch durch den Besuch einer Schule außerhalb Bayerns erfüllt werden, wenn diese gegenüber anderen Schulformen „gleichwertig“ ist. Das sei bei der international anerkannten Online-Schule der Fall, da hier ein hohes Bildungsniveau sichergestellt sei.
VGH: Gemeinschaft und soziale Kompetenz können nur an Präsenz-Schulen gelernt werden
Der VGH sah das anders und wies die Beschwerde zurück. Das Gericht ging von einem gewöhnlichen Aufenthalt des Schülers in Bayern aus, da die Eltern den Umfang ihrer Reisetätigkeit nicht ausreichend dargelegt hätten. Außerdem könne die Teilnahme an einer Online-Schule generell nicht gleichwertig mit dem Besuch einer Präsenzschule sein. Schule sei mehr als Wissensvermittlung – wichtige soziale Fähigkeiten könnten nur durch einen regelmäßigen Schulbesuch erlernt werden:
„Das Verwaltungsgericht hat zu Recht ausgeführt, dass die Schulpflicht als Ausdruck des in Art. 7 Abs. 1 GG vorausgesetzten staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrags die Schülerinnen und Schüler zum Besuch des Unterrichts verpflichtet und nur dann die Funktionen schulischer Bildung gewährleistet, wenn sie in Schulen, in Gemeinschaft mit anderen Schülerinnen und Schülern und im Austausch mit einer Lehrkraft erfüllt wird. Der Bildungs- und Erziehungsauftrag des Staates richtet sich nicht nur auf die Vermittlung von Wissen, sondern auch auf die Heranbildung verantwortlicher Staatsbürger, die gleichberechtigt und dem Ganzen gegenüber verantwortungsbewusst an den demokratischen Prozessen in einer pluralistischen Gesellschaft sollen teilhaben können […]. Die hierfür erforderliche soziale Kompetenz im Umgang auch mit Andersdenkenden, gelebte Toleranz, Durchsetzungsvermögen und Selbstbehauptung einer von der Mehrheit abweichenden Überzeugung können effektiver eingeübt werden, wenn Kontakte mit der Gesellschaft und den in ihr vertretenen unterschiedlichsten Auffassungen nicht nur gelegentlich stattfinden, sondern Teil einer mit dem regelmäßigen Schulbesuch verbundenen Alltagserfahrung sind.“
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 30. Juni 2022 – 7 CE 22.925
Das Erziehungsrecht der Eltern trete in diesem Fall hinter den staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag zurück. Ob an der Online-Schule eine dem bayerischen Lehrplan entsprechende Wissensvermittlung stattfindet, sei deshalb „nicht entscheidungserheblich“.
Was bedeutet die Entscheidung für Privatschulen?
Der Bayerische VGH hat zunächt – wenig überraschend – klargestellt, dass Kinder im Grundschulalter ihre Schulpflicht außerhalb einer Regelschule nur durch den Besuch einer genehmigten Ersatzschule erfüllen können. Da sich dies bereits aus dem Grundgesetz ergibt, handelt es sich nicht um eine Besonderheit des bayerischen Landesrechts.
Interessant ist aber die klare Absage des Gerichts an eine Online-Schule. Folgt man der Argumentation, wäre auch eine Ersatzschule mit einem reinen Online-Angebot nicht genehmigungsfähig, da es an der regelmäßigen „echten“ Begegnung mit Lehrkräften und Mitschülern fehlt. Das Bundesverfassungsgericht hat sich in der Vergangenheit äußerst zurückhaltend bei der Gewährung von Heim- und Fernunterricht gezeigt. Es ist eher unwahrscheinlich, dass die Verwaltungs- und Verfassungsgerichte anderer Bundesländer eine Online-Schule grundlegend anders beurteilen würden. Offen bleibt aber, inwieweit Mischformen aus Online- und Präsenzangeboten genehmigungsfähig sind.